Kunst & Kultur
„Nacht über Frost Hollow Hall“ – Wo sich Geister einnisten
27. März 2025
Es ist das Jahr 1881, im tiefsten Winter. Der Schnee hüllt alles in eine weiße Decke und die zwölfjährige Tilly wartet in ihrem viel zu dünnen Sonntagskleid vergeblich darauf, dass ihr Vater endlich nach Hause kommt. Um sich abzulenken, geht sie auf eine Mutprobe ein und wagt sich auf den zugefrorenen See des Anwesens „Frost Hollow Hall“. Doch das Eis bekommt Risse unter ihren Füßen und sie bricht ein. Gerade so kommt sie mit dem Leben davon – und einem goldenen Ring, den sie mysteriöserweise in ihrer Tasche findet. Laut der Gravur gehört dieser Christopher Barrington, dem Erben des Anwesens. Doch Kit starb vor zehn Jahren tragisch – in eben diesem See. Hat sein Geist sie etwa gerettet? Um mehr herauszufinden, nimmt Tilly eine Stelle als Dienstmädchen auf dem Anwesen an. Doch dort scheinen noch ganz andere Geister zu spuken…

© Anja Hamsink
Manchmal ist es ja interessant, Bücher noch einmal zu lesen, Jahre nachdem man sie beiseitegelegt hat. „Nacht über Frost Hollow Hall“ habe ich zum ersten Mal gelesen, da war ich vielleicht zehn Jahre, möglicherweise noch jünger. Damals habe ich eine unterhaltsame und spannende Abenteuer-, vielleicht Geistergeschichte erwartet.
Vor einigen Monaten fiel mir das Buch wieder in die Hände, in einer Kiste mit Büchern, die wir eigentlich auf dem Flohmarkt verkaufen wollten. Ich wusste noch, dass es mir gefallen, mich bewegt und beeindruckt hatte, alles andere hatte ich vergessen. Was genau ich davon erwarten sollte, wusste ich also nicht. Aber irgendwie widerstrebte es mir, das Buch einfach wieder aus der Hand zu legen, also entschied ich mich, ihm noch eine zweite Chance zu geben.
Mein früheres Ich hat durchaus Recht behalten mit seinen Hoffnungen: „Frost Hollow Hall“ ist ein wirklich gutes (Kinder-) Buch, spannend und manchmal etwas unheimlich. Ein historischer Roman, mit übernatürlichen Elementen und einem düsteren Geheimnis. Welches Leseratten-Herz lässt das denn bitte nicht höherschlagen?
Aber die Geschichte hat mich auch durch ihre Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit beeindruckt, beim zweiten wie beim ersten Lesen. Das Anwesen „Frost Hollow Hall“ konnte ich mir lebhaft vorstellen – ein Ort, der sein Herz verloren hat, an dem die Zeit verzweifelt versucht, stillzustehen, und es doch nicht kann. Die Geister der Vergangenheit scheinen dort allgegenwärtig: auf der dunklen Hintertreppe, in dem zerbrochenen Geschirr, an dem niemand schuld ist, aber gleichzeitig auch in der Stille von Kits Zimmer – dem Bett, das nicht gemacht wurde und dem Feuer, das niemals ausgehen darf. Vor allem aber spürt man ihre Anwesenheit in den Lebenden, den Hinterbliebenen, die sie noch immer im Herzen tragen.
Tatsächlich war ich beim zweiten Lesen selbst erstaunt, wie traurig der Roman an manchen Stellen ist. Obwohl es sich dabei um ein Kinderbuch handelt, scheut die Autorin nicht davor zurück, das ganze erdrückende Gewicht des Verlustes geliebter Menschen darzustellen und wozu es uns treiben kann. Die Figuren in dem Roman handeln nicht immer rational, sie handeln nicht immer „richtig“, aber stets nachvollziehbar und glaubwürdig.
Gerade das ist es, was den Roman für mich so empfehlenswert macht: er fühlt sich echt an – greifbar und vielschichtig. Manchmal schmerzlich, manchmal fast niederschmetternd, und letztendlich doch ein wenig hoffnungsvoll. Aus diesem Grund halte ich ihn auch für alle Altersgruppen für ansprechend (beginnend, je nach Person, vielleicht bei 10-12 Jahren) – besonders natürlich auch für Kinderbuchliebhaber wie mich.
Ich für meinen Teil habe das Buch jedenfalls wieder in mein Regal gestellt und dort wird es wohl doch noch einige Zeit verbringen. Bis in einigen Jahren vielleicht.